Eine Koalition am Ende

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Wenn ein Kanzler zum letzten Mittel der „Richtlinienkompetenz“ greift, dann ist klar: „Die Koalition ist am Ende“. Das wusste schon Franz Müntefering 2005. In dieser Woche war es soweit. In der Frage der Laufzeiten der verbliebenen Kernkraftwerke war die Ampel so zerstritten, dass sich Olaf Scholz nicht anders zu helfen wusste. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist ausgeschöpft.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Parteifreunde,


als Tiger springen und als Bettvorleger landen: So agiert Kanzler Scholz in dieser Woche. Am Montag sah er sich nach einem monatelangen Koalitionsstreit gezwungen, von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen, um die Minister der Grünen und der FDP zur Raison zu zwingen. Die Koalitionspartner hatten sich über die Frage, ob das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen 15 Wochen länger laufen soll, so zerkeilt, dass
der Kanzler glaubte, diesen Konflikt nur unter Inanspruchnahme einer
verfassungsrechtlichen Ultima Ratio lösen zu können. Offensichtlich braucht es Kanonen, um einen Spatzen zu erlegen. Die Richtlinienkompetenz ist eine Art Autoritätsreserve; die buchstäblich „letzte Patrone“.

Richtlinienkompetenz, „Wer das macht, zeigt: Die Koalition ist am Ende“

Das Schauspiel sagt viel aus über den desolaten Zustand des Ampelbündnisses aus, das „Machtwörtchen“ spricht für den Führungsstil von Olaf Scholz. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist offenbar verbraucht. Die Nutzung der Richtlinienkompetenz in dieser Form ist historisch einmalig, zumal SPD-Kanzler Scholz offiziell einen Grünen- und einen FDP-Minister in die Schranken wies. Hinter den Kulissen wird aber auch gemunkelt, dass ein geschwächter Minister Habeck von der parteipolitischen Fessel erlöst werden sollte, die ihm seine Partei kurz vorher auf dem Parteitag angelegt hat. Ich halte es für möglich, dass sich Habeck, Lindner und Scholz nicht anders zu helfen wussten.

Wie problematisch das Vorgehen ist, hat Franz Müntefering 2005 auf den Punkt gebracht: „Die Anwendung der Richtlinie ist nicht lebenswirklich. Wer das macht in einer Koalition, der weiß, dass die Koalition zu Ende ist.“

Mit dem Brief und der Entscheidung, die Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen, ist der Koalition die Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit entzogen. Scholz selbst hatte noch im August in Bezug auf die Richtlinienkompetenz in der Bundespressekonferenz gesagt: „Es ist gut, dass ich sie habe. Aber natürlich nicht in der Form, dass ich jemandem einen Brief schreibe: Bitte Herr Minister, machen Sie das Folgende! Sondern es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Regierung die wichtigsten Entscheidungen trifft, die uns in die Lage versetzen, auf diese Krise zu
reagieren.“ Offensichtlich weiß der Kanzler nicht mehr, was er im Sommer gesagt hat.

Wir haben noch immer kein Gesetz, wie wir die Gaspreisbremse umsetzen
Über das Thema Atomkraftwerke habe in einem Video mit meiner Fraktionskollegin Anja Weisgerber gesprochen. Der Vorgang rund um die Verlängerung der Laufzeiten ist insofern besonders bemerkenswert, als dass die Ampel nur einen Randbereich der gesamten Problemlage bearbeitet. Die Ampel hat vor zwei Wochen das Expertengutachten zu Einführung einer Gaspreisbremse erhalten. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass das Thema Gaspreise allen Bürgern und vielen Unternehmern unter
den Nägeln brennt. In den vergangenen zwei Sitzungswochen war die Koalition nicht in der Lage, ein Gesetz zur Umsetzung dieser Gaspreisbremse vorzulegen. Lieber zäumt die Ampel das Pferd von hinten auf. Statt konkrete Maßnahmen zur Reduktion des Gaspreises vorzuschlagen, stellt sie 200 Milliarden Euro ins Schaufenster, ohne zu erklären, wofür und wie sie das Geld benutzen möchte.

CDU und CSU wollen Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen spürbar entlasten
Um es deutlich zu sagen: Als Union wollen wir eine spürbare Entlastung für Unternehmen und Bürger. Wir wollen und wir fordern seit langem eine Gaspreisbremse. Wir sind aber nicht bereit, der Regierung einen Blankoscheck über 200 Milliarden Euro auszustellen. Deshalb haben wir als Union den heute vorgelegten Gesetzentwurf nicht mitgetragen.
Der Bundesrechnungshof hat das Gesetzgebungsverfahren und den Finanzierungsvorschlag in einer nie dagewesenen Deutlichkeit als verfassungswidrig kritisiert. Die Ampel schafft für 200 Milliarden Euro einen Nebenhaushalt, statt das Geld aus dem regulären Haushalt zu nehmen. Einen Grund für diese unseriöse Haushaltsführung sucht man vergebens.

Der Bundesrechnungshof hat recht: Die Maßnahmen zur Einführung einer Gaspreisbremse könnten ebenso gut und ohne Verlust der Wirksamkeit schuldenrechtskonform im normalen Bundeshaushalt abgebildet und finanziert werden. Die Ampel geht bewusst nicht diesen Weg. Zudem ist nicht ersichtlich, warum sich die Bundesregierung in diesem Jahr Finanzmittel (200 Milliarden Euro) sichert, die sie erst 2023 und 2024 verausgaben möchte. Dieses Argument wiegt umso schwerer, als dass niemand prognostizieren kann, wie hoch der Gaspreis 2023 oder gar 2024 sein wird. Unter einer soliden Haushaltspolitik à la FDP hatte ich mir etwas anderes vorgestellt.

Die Union schlägt deshalb vor, dass die Gaspreisbremse aus dem regulären Haushalt zu finanzieren und einen Nachtragshaushalt für 2022 zu beschließen. Dies wäre der finanzpolitisch saubere Weg.

Bürgergeld: Die Ampel verabschiedet sich vom Prinzip des Förderns und Forderns
Des Unfugs nicht genug: In dieser Sitzungswoche wurde zudem das sogenannte Bürgergeld zum ersten Mal im Bundestag diskutiert. Dieses soll das SGB II, oder Hartz-IV – wie es oft heißt –, ablösen. Mit dem Gesetz verabschiedet sich die Ampelkoalition vom wichtigen Grundsatz des Förderns und Forderns in der Arbeitsmarktpolitik. Das Gesetz sieht vor, die Regelbedarfe schneller als bisher zu erhöhen. Die Möglichkeiten von Leistungskürzungen werden sehr eng beschnitten. Während der ersten sechs Monate sind keine Leistungskürzungen möglich.

Mit dem Gesetz macht die Ampel das Leben in der Stütze attraktiver. Ich halte es für grundfalsch, die Menschen in einem Bürgergeld zu verwalten, statt sie dauerhaft in Arbeit zu bringen. Gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels ist dies ein schwerwiegender arbeitsmarktpolitischer Fehler. Bei rund 1,9 Millionen unbesetzten Stellen wäre es jetzt an der Zeit, alles dafür zu tun, dass Menschen Arbeit aufnehmen. Richtig wäre es daher gewesen, am Fordern als ein zentrales Prinzip der Arbeitsmarktpolitik festzuhalten und das Fördern zu verbessern. Genau das will die Union.

Bundesregierung entwertet das Asylverfahren und kündigt Konsens auf
Nicht nur in der Arbeits- und Sozialpolitik, sondern auch in der Migrationspolitik setzt die Ampel die falschen Schwerpunkte. Unternehmen suchen händeringend Arbeitskräfte. Statt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zu reformieren, setzt die Ampel mit einem „Chancenaufenthaltsrecht“ falsche Anreize für Flüchtlinge. Die von der Ampel geplante Regelung entwertet das Asylverfahren und stellt die Bedeutung der Asylentscheidung grundsätzlich in Frage. Werden die Regelungen vom Bundestag verabschiedet, ist es zukünftig praktisch bedeutungslos, wie das Asylverfahren ausgeht, da abgelehnten Asylbewerbern die Möglichkeit gegeben wird, ein Bleiberecht zu erhalten.

Angesichts des hohen Migrationsdrucks wäre ein klares Stoppsignal richtig. Stattdessen schafft die Ampel zusätzliche Anreize für irreguläre Migration und begibt sich auf einen deutschen Sonderweg. Die Botschaft ist: Egal, ob ein Asylgrund besteht oder ob jemand über berufliche Qualifikationen verfügt, am Ende darf jeder in Deutschland bleiben.

Der Konsens in der Mitte unserer Gesellschaft lautete bisher: Wir sind großzügig gegenüber Schutzbedürftigen und fordern qualifizierte Fachkräftezuwanderung. Wer aber keinen Schutzgrund hat und ausreisepflichtig ist, muss unser Land wieder verlassen. Für diesen Konsens steht die Union. Die Ampel hat sich von diesem Konsens verabschiedet.


Viele Grüße aus Berlin

Ihr Marc Henrichmann