„Wir können nicht die Augen verschließen“
Den Städten und Gemeinden steht das Wasser bis zum Hals, es kommen immer mehr Flüchtlinge. Wie sollen sie das bewältigen?
„Die Lage wird sich entspannen, wenn die relativ vielen Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern wieder zurückkehren. Hier muss viel schneller etwas passieren.“
Wie kann das funktionieren?
„Es muss schon in dem ersten EU-Land, das Flüchtlinge betreten, etwas passieren. Wenn klar ist, dass ein Flüchtling kein Bleiberecht haben kann, darf er nicht einfach durchgewunken werden. Die EU-Länder müssen sich unterstützen und an einem Strang ziehen.“
In dem Fernseh-Talk mit Anne Will am Mittwoch bezieht Kanzlerin Merkel klar Position. Sie hält an ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik fest – trotz des Drucks auch aus den eigenen Reihen. Wie sehen Sie das? Merkelfreund oder Merkelkritiker?
„Ich stehe nach wie vor hinter der Kanzlerin und halte ihre Vorgehensweise für richtig. Andere realistische Vorgehensweisen sind mir nicht bekannt. Wir können nicht die Augen vor etwas verschließen, was uns längst betrifft. Die Menschen sind bei uns und es werden weitere folgen. Jetzt geht es darum, die Herausforderung systematisch anzugehen und die Kräfte zu bündeln. Diejenigen, die keine Bleibeperspektive haben, müssen wir zügig wieder zurückschicken und diejenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, müssen Teil unserer Gesellschaft werden. Das heißt auch, dass sie ihren Beitrag zu dieser Gesellschaft leisten müssen.“
Sie haben sich jetzt die Zeltstadt in Olfen-Vinnum angesehen, die erste und bislang einzige im Kreis Coesfeld. Wie war Ihr Eindruck?
„Sehr gut. Die Zelte werden sogar winterfest gemacht und sind beheizbar, niemand muss dort frieren. Das DRK arbeitet sehr professionell, die Hilfsbereitschaft ist riesig. Man muss aufpassen, dass die Ehrenamtlichen nicht zermürbt werden. Auch das sehe ich als einen wichtigen Grund, warum wir dringend handeln müssen. Die Helfer haben kein Wochenende und keinen Feiertag mehr. Am 15. Oktober soll ein umfangreiches Gesetzespaket mit Änderungen im Asylrecht beschlossen werden, dadurch wird einiges vereinfacht.“
Was halten Sie für besonders wichtig?
„Dass in der Ersteinrichtung mehr entschieden wird. Es sollte in Olfen oder Coesfeld oder wo die Notunterkunft ist, auch jemand vom Integrationsamt sitzen, der Vorentscheidungen zum Bleiberecht formuliert. Jetzt ist es ja so, dass nach ein paar Wochen die Flüchtlinge den Kommunen zugewiesen werden, egal, ob es aussichtslos für sie sein wird zu bleiben oder nicht. Das muss nicht so laufen. Dann finde ich, dass wir auf jeden Fall die positive Willkommenskultur beibehalten. Natürlich brauchen die Menschen, die aus dem schrecklichen Krieg geflüchtet sind, unsere Unterstützung.“
Es gibt in der Bevölkerung Ängste, dass es nicht so einfach klappt mit der Integration.
„Unsere Bedingungen müssen deutlich formuliert werden. Den Menschen muss klar sein, dass wir hier in einem Rechtsstaat leben. Dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, dass wir ein Grundgesetz haben, das wir ernst nehmen und an das man sich zu halten hat. Das haben Menschen gerade aus Kriegsländern ganz anders erlebt, da stehen wenn überhaupt – Menschenrechte oft nur auf dem Papier und es regieren Korruption und Gewalt. Das sind mehrere Ebenen, auf denen wir das vermitteln müssen. Wenn jemand ein Bleiberecht hat, müssen wir alles für eine gute Integration tun, für das Erlernen der Sprache und die Einbindung in die Berufswelt. Dass das nicht mit einem Fingerschnipsen geht, ist klar.“
Aber Sie glauben, dass es gut möglich ist?
„Wenn wir die Menschen freundlich empfangen, werden sie spüren, dass wir anständig miteinander umgehen und ein gemeinsames Wertesystem teilen. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen. Auf beiden Seiten. Und dass diese Menschen, die jetzt zu uns kommen, auch uns gut tun können, ja, das glaube ich, besonders vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Unternehmen hätten die Chance, Fachpersonal zu gewinnen, das ihnen fehlt. Am Ende wird sich entscheiden, ob das auch gebende Hände sein wollen oder nur nehmende.“
Sie haben im Frühling im Nordirak Flüchtlingslager besucht. Wie unterscheiden sich die Verhältnisse von den hiesigen?
„Das ist überhaupt nicht vergleichbar mit der hiesigen Situation. Hier leben die Menschen wirklich in Sicherheit, dort hoffen sie, dass sie in der Autonomen Region Kurdistan Schutz finden. Es sind riesige Zeltstädte. Tausende Zelte. Zehntausende Menschen. Das sind Dimensionen, die kann man sich kaum vorstellen. Mit allem drum und dran, oft schlechter Hygiene. So ein Lager dort ist so groß wie eine ganze Stadt im Münsterland, so groß wie Dülmen. Aber genau das ist mir ganz wichtig: den Menschen vor Ort in den Ländern zu helfen. Das ist das Ziel der Aktion Hoffnungschimmer aus Senden, für die ich ja aktiv bin und mit der ich mir im Nordirak die Situation angesehen habe. Etwas für die Bildung dort tun, für die Schulen, die es in so einem Lager gibt, oder für die Kranken. Auch wenn es vielleicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.“